“Der Zauber des Augenblicks”: Über die Magie von Modezeichnungen

Die neuen Looks, die ab dem 5. September während der Fashion Weeks auf den Laufstegen der Mode-Metropolen zu sehen sein werden, wären ohne sie nicht entstanden: Modezeichnungen. Sie spielen auch im Zeitalter von Digital Painting, elektronischer Fotografie & Co. eine entscheidende Rolle – als Arbeitsanweisung, vor allem aber als Ausdruck der Aura, die Designer bei einem Kleidungsstück imaginieren, und die sich am besten im unmittelbaren Prozess mit Papier und Stift ausdrücken lässt.

Material, Passform, Nähte: Die technischen Details eines Entwurfs lassen sich problemlos mit Schnittmustern beschreiben. Nicht aber jene Eigenschaften, die für gelungenes Design mindestens ebenso wichtig sind: wie dynamisch ein Faltenrock beim Gehen schwingt, wie apart eine Jacke die Schultern modelliert, wie nonchalant ein Halstuch die Trägerin umflattert. Dieses “Je ne sais quoi”, das gewisse Etwas, das Kleidung erst in Mode verwandelt, existiert anfangs nur in der Fantasie der Modeschöpfer. Um diesen Vorstellungen Gestalt zu verleihen, sind Stift und Papier die idealen Medien – und für jede Menge kreativer Überraschungen gut: “Es ist der Zauber des Augenblicks”, beschrieb Couture-Legende Yves Saint Laurent einst die Magie des Malens: “Ich beginne mit einem Frauengesicht, und dann entwickelt sich auf einmal ein Kleid, das Stück nimmt Form an. Mich überrascht dieser Ansturm von Ideen, diese Fähigkeit, Kleidung zu ersinnen, immer wieder aufs Neue”.

Höhlenmalereien: die ersten Bilder menschlicher Bekleidung

Die “Fähigkeit, Kleidung zu ersinnen” zeichnet die Menschen seit jeher aus: Schon vor rund 130 000 Jahren legten sich die Neandertaler zum Schutz vor der Kälte Tierfelle um den Körper. Auch die erste bearbeitete Kleidung bestand vor ca. 35 000 Jahren aus dem Fell erlegter Tiere sowie aus Pflanzenfasern und Baumrinden. Diese “Ur-Gewänder” sind in Höhlenmalereien verewigt – sozusagen die allerersten Fashion-Illustrationen überhaupt. Denn seit es Bilder einer Gesellschaft gibt, existieren auch Bilder ihrer Moden. Dies gilt für die Artefakte aus der Steinzeit ebenso wie für die Fresken aus dem Mittelalter oder die Kunstwerke eines Leonardo da Vinci: Was Menschen in früheren Zeiten getragen haben, die Stoffe und Schnitte ihrer Garderobe, die textilen Regelwerke und Hierarchien – all das kennen wir aus gemalten, gezeichneten, gedruckten Bildern.

Vogue-Cover als Kunstwerke

Der ersten größeren Nachfrage erfreute sich die Modezeichnung im 16. Jahrhundert, als immer mehr europäische Forschungsreisende ferne Ziele entdeckten. Ging es zunächst vor allem darum, Volkstrachten und Kleidungsstile anderer Kontinente zu zeigen, rückten, zum Zweck des modischen Austauschs, bald auch Looks aus benachbarten Regionen in den Fokus – im 17. Jahrhundert vor allem aus England und Frankreich. 1672 erschien in Paris erstmals Le Mercure galant, ein Journal, das Stiche von Kleidungsstücken zeigte und diese mit Bildunterschriften und Adressen von Anbietern versah: sozusagen die erste Modezeitschrift der Welt… Gut zweihundert Jahre später eroberten ihre Hochglanz-Nachfolger Vogue und Harper’s Bazar erst den US-amerikanischen, später den europäischen Markt. Zwar gab es technische Neuerungen – so wurden die handkolorierten Stiche durch moderne Farbdrucke ersetzt -, doch das Medium Nr. 1 blieb bis in die 1940er Jahre die Modezeichnung. Inspiriert von kreativen Pionieren wie Paul Poiret, der seine Entwürfe in einem eigens für ihn gezeichneten, fantastisch aufwändigen Katalog präsentierte, fanden die Illustratoren zu einmaliger Ausdrucksstärke. Gerade für die Magazin-Cover fertigten sie wahre Kunstwerke an, platzierten ihre Models in Fantasielandschaften oder in New Yorks Art-déco-Architektur und verliehen den Entwürfen so eine weitere Ebene: Mode als ein ganzes Lebensgefühl.

Großmeister der leichtfüßigen Eleganz

Als sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Fotografie schließlich auch in den Mode-Publikationen durchsetzte, blieb der Illustration für einige Zeit nur ein Nischendasein. Sie wurde vor allem als Werbemedium für Luxus- und Beauty-Produkte genutzt, bis sie in den Achtzigern eine Renaissance erlebte: Die Sehnsucht, Mode wieder mit mehr Geheimnis, Traumpotenzial und Persönlichkeit aufzuladen, beflügelte Künstler ebenso wie Fashiondesigner. Renommierte Zeichner wie Ruben Toledo, Francois Berthoux oder Jean-Philippe Delhomme inszenieren Mode mal realistisch, mal abstrakt, mal verträumt, mal mit viel Humor – eine eigenständige, sehr lebendige Kunstrichtung, die zunehmend Bewunderer findet. Und auch Modemacher wie Christian Lacroix, Bruno Pieters, Philipp Lim oder Wolfgang Joop veröffentlichen glücklicherweise immer wieder (und immer häufiger) ihre manchmal so mühelos erscheinenden Skizzen. Ein Großmeister dieser leichtfüßigen Eleganz bezeichnete sich folgerichtig nicht als Designer, sondern stets als Illustrator: Der legendäre Chanel-Kreativdirektor Karl Lagerfeld (+ 19.02.2019), dessen Weltkarriere mit einer preisgekrönten Zeichnung bei einem Mode-Wettbewerb begann, verstand sich einzigartig auf den Umgang mit Stift und Papier. Ob Arbeitsskizze oder Porträt, Karikatur oder Buch-Illustration – jede einzelne Zeichnung war ein Kunstwerk für sich, beispiellos in der Ästhetik, Linienführung, Farbgebung und nicht zuletzt Fantasie. “Ich habe eine spontane Idee, und die setze ich in der Skizze um”, erklärte das Kreativ-Genie einmal in einem Interview mit Faber-Castell: “Das ist alles instinktiv. Ich habe nie Zeichnen gelernt”. Umso wichtiger war dem Autodidakten das optimale Handwerkszeug. Wie viele Künstlerkollegen sah sich Lagerfeld als “Papierfreak”; und natürlich spielte die Wahl der Stifte eine entscheidende Rolle. Von Kindheit an mit den Stiften von Faber-Castell vertraut, verwendete er sie während seines gesamten Berufslebens. Wie wichtig ihm diese Arbeitsgeräte waren, zeigte sein Einsatz als Testimonial für die Albrecht Dürer-Aquarellstifte – und schließlich, im September 2016, eine eigene Edition für Faber-Castell: die Karlbox.

Haute Couture des Künstlerbedarfs

Diese von Karl Lagerfeld persönlich zusammengestellte, exklusive Sammlung präsentiert sich als Haute-Couture-Version des Künstlerbedarfs: Die vom Designer selbst entworfene elegante Holzbox in tiefem Schwarz, deren Design an einen chinesischen Hochzeitsschrank erinnert, beinhaltet 350 erstklassige Mal- und Zeicheninstrumente – dazu gehören Albrecht Dürer und Polychromos Künstlerfarbstifte, hochpigmentierte Pitt Artist Pen Tuschestifte, Castell 9000 Bleistifte, Pitt Farb- und Pastellstifte, ein Aquarellpinsel, ein faltbarer Wasserbecher, Radiergummi und Spitzer – Handwerkszeug, um Fashion-Illustrationen ganz im Sinne Karl des Großen zu gestalten: “Die Mode beginnt auf Papier”, sagte er einmal, “und sie überdauert auf Papier”.

OTS/PM/Red.